Familienvater

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EBERHARD FRIEDRICH WALCKER
 
DER FAMILIENVATER
Im Jahre 1821, also in seinem 26. Lebensjahr, hat Eberhard Friedrich zugleich mit dem eigenen Geschäft auch einen eigenen Hausstand gegründet mit der Tochter eines Rotgerbers Weigle in Ludwigsburg. Die Anfänge waren einfach. Er selbst erhielt 200 Gulden mit in die Ehe, die Ausstattung der Braut wird mit 600 Gulden veranschlagt, was immerhin auf einen gewissen gehobenen Lebensstandard des Elternhauses hindeutet. Dort wurden ihm auch zwei Räume für Wohnung und Geschäft zugleich bereitgestellt, die für die ersten sieben kinderlosen Jahre in der Hauptsache ausreichen mussten. Beide waren offenbar auch bereit, den Kampf des Lebens aufzunehmen und auch eine tüchtige eigene Leistung einzusetzen. Ein beschauliches Dasein war das Walckersche Eheleben während der ganzen Dauer der ersten Ehe sicher nicht. Familie und Geschäft gingen räumlich und zeitlich sehr stark ineinander über, meist wohl auf Kosten der Familie. Aber langweilig und eintönig war es sicher auch nicht, vielmehr eine fortlaufende Kette „unerwarteter Geschichten". In den Jahren 1828 bis 1835 wurden vier Söhne und eine Tochter geboren, von denen ein Knabe im frühen Kindesalter starb. Die durchaus religiöse Lebensauffassung Walckers kommt in den Einträgen in die Hausbibel bei den Geburts- und Todesfällen besonders deutlich zum Ausdruck, so beim ersten Sohn: „Die Gnade des Herrn walte über ihm von nun an bis in Ewigkeit", bei der Geburt der Tochter Beate:
„Des Herrn Auge begleite sie auf allen ihren Wegen", beim Tode des dritten Kindes: „Weil es Gott gefiel, hat er ihn zu sich genommen." Die Frau hatte auch für die Beköstigung der immer zahlreicher werdenden Gehilfen zu sorgen, die bis zu dreißig am Tisch saßen. Sie bewirtschaftete dazu einige Morgen eigener Grundstücke, um möglichst vorteilhaft hauszuhalten. Überhaupt stand sie mit beiden Füßen im Leben und in den an sie herankommenden Pflichten. Die Kunst des Mannes bewunderte sie und räumte ihm deshalb auch aus dem Wege, was sie konnte. Ihr Tod im Jahre 1843 riss eine herbe Lücke im Leben Walckers.
Nach etwas über einem Jahr schloss er die zweite Ehe mit der Tochter des Oberamtmanns Stump. Sie wurde schon in einen etwas freundlicheren Rahmen hineingestellt, und auch die Aufgaben der Frau gestalteten sich mannigfaltig anders als bei der ersten. Aus dieser Ehe erwuchsen vier Söhne und zwei Töchter. In ihrem Verlauf "wuchsen die Kinder aus beiden Ehen zu selbständigen Persönlichkeiten heran, wählten ihre Berufe, gründeten eigene Familien und teilweise auch Geschäfte. Der Orgelbau selbst wuchs immer mehr ins Weltweite hinein. Der Kreis der Menschen, die sich im Hause Walcker einfanden, wurde immer größer, verschiedenartiger und stellte darum auch ganz andere Anforderungen an das Ehepaar Walcker als früher. Die erziehlichen Aufgaben lagen naturgemäß vorwiegend auf den Schultern der Frau. Die Söhne berichten selbst, dass der Vater meist so von schwerem Ernst umlagert und so stark beschäftigt gewesen sei, dass sie sich kaum an ihn herantrauten. Doch wussten sie, dass er sie mit ganzer Verantwortung und Treue umhegte. Das geht besonders aus den Briefen Walckers an seine Frau hervor, die er immer im Blick auf die Kinder besonders anschaulich und aufschlussreich abfasste. Finanziell war ihm für seine Familie nichts zuviel. Es kam in den Briefen ein Zartgefühl für Frau und Kinder zum Ausdruck, in dem sich eine herzliche Verbundenheit und eine dankbare Freude über seine Familie spiegelte. Man bekommt aus ihnen den Eindruck, dass er schriftlich und aus der Ferne besser sagen konnte, was er seinen Angehörigen gegenüber empfand, als wenn er sie um sich hatte. Er hatte in der Einsamkeit der Fremde wohl auch eher Zeit, seine Gedanken auf sie zu sammeln, und erlebte so vieles, das sie nicht sehen konnten und an dem er sie nun auf diese Weise teilnehmen lassen wollte. In einem Brief aus Helsingfors vom 29. August 1850 heißt es z. B.: „Keine deutsche Zeitung kommt in unser Hotel, Gesellschaften sind jetzt am Schluss des Sommers alle außerhalb der Stadt, alle Angestellten der Stadt haben jetzt Ferien, und so sind wir wie ein Schwälblein auf dem Dach, das sich seines Heimzugs freut und so manchmal die Flügelein lüpft. Dazu kommt noch, dass ich heute meinem Fenster gegenüber in dem Universitätsgebäude ein kleines Mädchen, ganz ähnlich wie unsere liebe Marie, auf dem breiten Fenstersims vor dem Arbeitstische ihrer Mutter so eifrig und geschäftig nähen und mit der Schere schneiden, auch hier und da der Mutter etwas zu Schaden machen sah, dass ich das liebe Kind nur gleich hätte näher besehen und liebkosen mögen."
Aus einem Brief seiner Frau nach Zürich vom 25. Oktober 1853 sind folgende Sätze aufschlussreich: „Aber lieber Walcker, was denkst Du, mir so schöne Muster zu einem Kleid zu schicken, Du bist recht gut, und ich erkenne Deine Liebe mit großem Dank, möchte Dir aber herzlich dafür danken, in Betracht, dass wirklich alles so teuer ist und wir so viele kleine Kinderlein haben, für die wir sorgen müssen, könnte ich's nicht über das Herz bringen und würde es sogar für einen Übermut halten, mir so ein schönes Kleid auszuwählen. Willst Du mich mit etwas erfreuen, so kaufe mir l1/2 Ellen schwarzes Seidenzeug zu einem Schurz, das nehme ich mit Dank an, lieber Alter! Überhaupt überhäufst Du mich mit Güte, ich bin's nicht wert, denn schon wieder machst Du mir einen so freundlichen Vorschlag, dem ich freilich gerne nachkommen möchte, denn was könnte mich mehr freuen, als Dich in Zürich abholen zu dürfen. Aber ich will doch entschieden dafür danken aus den gleichen Rücksichten und den lieben Gott bitten. Dich recht bald gesund wieder in unsere Mitte zu führen." Walcker gehörte auch dem Gemeinderat der Stadt und dem Kirchengemeinderat an. Die Zeitfragen bewegten ihn sehr stark, aber er konzentrierte sich doch in der Hauptsache auf das, was sein „Auftrag" in seinem Leben und in seiner Zeit war.
Um so höher schätzte es die Familie, wenn sich der Vater ab und zu einmal freimachte, den Reisewagen anspannen ließ, um mit der Frau und abwechselnd mit dem einen und anderen der Kinder über Land zu fahren, zum Besuch von Freunden oder Verwandten oder auch einmal zu einem besonders eindrucksvollen Prediger in den Gottesdienst. Trotz aller Vielbeschäftigtheit war er das unbestrittene Haupt der Familie, zu dem alle aufblickten. Dass in dieser Familie kein kleinlicher Geist und keine enge Pedanterie herrschten, liegt auf der Hand. Wen das Leben so würfelte wie Eberhard Friedrich, der konnte kein Banause sein und gesteht auch anderen eine eigene Prägung zu. Ihm war nicht alles gleich bedeutsam, sondern er wusste Wesentliches und Untergeordnetes zu unterscheiden, auch aus dem Wissen heraus, dass das Leben selber zur Formung des Menschen noch das Seine beiträgt.
In diesem Vertrauen, das er Frau und Kindern entgegenbrachte, und in dieser auch ihnen zuerkannten Sphäre persönlicher Selbständigkeit und Freiheit war die Autorität Walckers in seiner Familie bis zum Grabe fest und organisch begründet.

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