Orgelbauer

 
EBERHARD FRIEDRICH WALCKER
DER ORGELBAUER
 
Der Anfang als selbstständiger Orgelbauer in Ludwigsburg war bescheiden genug. Ludwigsburg selber war zur damaligen Zeit auch nicht gerade der geeignetste Platz für die Neugründung eines Geschäftes, das darauf angewiesen war, seine Erzeugnisse in immer entferntere Gegenden zu bringen. Dabei war es keine einfache Sache, die Bestandteile für die ganze Orgel für einen Transport auf dem Wasserweg, mit den damals zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln, versandgerecht zu verpacken, sowohl der Größe, wie dem Gewicht, wie der besonderen Empfindlichkeit der Einzelteile nach. Der einzige Anreiz, den die Stadt bot, war einmal der Rückhalt im Elternhaus der Braut, und sodann die von der Stadt in Verbindung mit dem Landesfürsten angekündigten Steuererleichterungen bzw. -befreiungen. Im Übrigen ist die Wahl von Ludwigsburg als Sitz des nun erst ins Weite greifenden Walckerschen Orgelbaues ein weiteres Beispiel für viele ähnliche Erfahrungen in Württemberg:
„Suche Dir Deinen Mann, und Deine Sache ist gewonnen." Nicht der Standort, sondern der Mensch ist das Entscheidende". Das wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch manchmal überzeugend hervortreten.
Die Eltern Walcker stimmten schließlich dem Plan Eberhard Friedrichs zu und gaben ihm als Heiratsgut 200 Gulden und den vorliegenden Auftrag für eine neue Orgel in Kochersteinfeld als Grundstock mit für Ehe und Geschäft. Wie sich das praktisch ausnahm, veranschaulicht ein Eintrag Eberhard Friedrichs in sein Jahrbuch von 1820:
„Zum Bürger werden in Ludwigsburg bezahlt ......... Gulden 100
Ferner vor der Hochzeit zu einigen Artikeln als z. B.
schwarzes Halstuch ...................                             Gulden 4
Auf den Tag der Hochzeit .................                     Gulden 20
Nach der Hochzeit zu Brettern und Bödseiten .........Gulden 35
Der Wert der Aussteuer der Braut wird mit ca. 600 Gulden veranschlagt. Ob zur Einrichtung des Orgelbaues Werkzeuge vom väterlichen Geschäft mitgegeben wurden, wird nicht berichtet; sicher aber nichts von den Materialien, die zum Bau der neuen Orgel notwendig waren. Es war also kein leichter Anfang, zumal die Herstellung einer solchen Orgel mindestens eine Jahresarbeit erforderte und Vorauszahlungen, auch in Form von Abschlagszahlungen, noch nicht allgemein üblich waren.
Wenn man das Leben und das Lebenswerk Eberhard Friedrichs rückschauend übersieht, so weist es eine Fülle der verschiedenartigsten Gesichte auf, die nur sehr schwer in einen Rahmen zu fassen sind. So am Anfang, wo sich in den zwei von den Schwiegereltern zur Verfügung gestellten Räumen alles Menschliche und Geschäftliche abspielte, oder später, wo zwanzig bis dreißig fremde Hilfskräfte in häuslicher Gemeinschaft mit dem Ehepaar Walcker wohnen, essen, schlafen und arbeiten, wo im Anschluss an das Frühstück sich die ganze Hausgemeinschaft zu gemeinsamer religiöser Andacht unter der Leitung des Hausvaters und Meisters versammelt. Was war das für eine beschaulich nach innen gerichtete Idylle! Und dann wieder die Fahrten ins Ausland, nach Petersburg, Reval, Agram, Frankreich, England, auf den Balkan usw., wo alles wie modernes Nomadentum anmutete und ein Hauch der Goldgräberromantik über denen lag, die hinauszogen, um ihre Orgelwerke an Ort und Stelle zu bringen und aufzubauen. Es ist erstaunlich, mit welcher Sicherheit und Selbstverständlichkeit Eberhard Friedrich in diesen vielgestaltigen Lagen sich zurechtfand und sie meisterte. Denn auf letzteres kam es ihm an. Er legte Wert darauf, nicht einfach die Pläne anderer auszuführen, sondern seiner Leistung auch sein Gepräge zu geben; zum Tagelöhner eignete er sich nicht und gab sich auch nicht dazu her.
Er hatte es auch nicht nötig. Es ist an anderer Stelle schon auf die Bedeutung hingewiesen worden, die für den jungen Orgelbauer die Begegnung mit Abbe Vogler hatte. Er selber berichtete darüber einmal folgendermaßen5:
 
„Ich habe die Liebe zum Orgelbau von meinem Vater geerbt, der selber ein geschickter Orgelbauer war. Die Mutter war gegen die Wahl dieses Berufes, weil er gar zu schlecht lohne. Daran hatte sie zur Zeit meiner Jugend nicht so ganz unrecht. Die Kriegszeiten waren der Kunst nicht günstig; die Gemeinden hatten ihrerseits viel zu wenig kirchlichen Sinn, um viel Geld an den Gottesdienst zu wenden; in Betreff der Orgeln beschränkte man sich meist auf die Reparaturen. Gleichwohl ließ ich midi mit meinem Entschluss, mich dieser Kunst zu widmen, nicht irremachen. Ich lebte in der Hoffnung, dieselbe über anklebende Mängel erheben und das Instrument auf eine Stufe der Ausbildung bringen zu können, dass es seiner Hauptaufgabe, würdigen Anteil am christlichen Gottesdienst zu nehmen, entspräche, und es war und blieb mir, der ich mich des Evangeliums nicht schäme, zeitlebens ein lieber Gedanke, durch meinen Beruf auch meinerseits der christlichen Kirche wenigstens indirekt zu dienen. An Übung in der Geduld fehlte es freilich dem strebsamen jugendlichen Geiste nicht. Ich wurde zwanzig Jahre alt, bis ich die erste neue Orgel in der Werkstätte meines Vaters durfte bauen helfen. Doch fand ich eine besondere Förderung in meinem Fach durch den bekannten Abbe Vogler. Dieser kam auf seinen Kunstreisen auch nach Cannstatt und ließ sich dort, wie er auch sonst zu tun pflegte, für seine Produktionen die Orgelpfeifen nach seinem besonderen so genannten Simplifikationssystem — gegründet auf die genaueste physikalische Grundlage — zusammenstellen, wodurch er eine bis dahin unbekannte Fülle, Wohllaut, Kräftigkeit und Harmonie des Orgelspiels erreichte. Ich selbst wurde von Vogler beigezogen, und es gelang mir schon damals, durch Vogler geleitet und aufmerksam gemacht, auf der mathematisch-physikalischen Basis des gesamten Tonsystems zu seiner Zufriedenheit eine reinere, harmonischere und kräftigere Intonation der Orgelpfeifen herzustellen, als bisher gewöhnlich war."
Er hatte also für seine Kunst einen wesentlich sichereren Boden unter den Füßen als der überlieferte Orgelbau, war nicht auf Spekulation und gut Glück angewiesen bei neuen Versuchen und nicht dazu verurteilt, einfach das Überkommene, Gewohnheitsmäßige fortzusetzen. Und nun war er auch in seinen Entschlüssen frei, konnte also, soweit das kleine Werk sich dazu eignete, gleich bei der Orgel für Kochersteinsfeld damit beginnen. Weit aussichtsreicher war freilich der Plan, beim Bau der großen Orgel für die Paulskirche in Frankfurt am Main, 1829—1833, und beim Umbau der Stiftskirchenorgel in Stuttgart, 1834—1845. die neuen Ideen zu verwerten.
Immerhin trat sein schöpferisches Können auch mit jedem kleineren neuen Werk überzeugend in Erscheinung. Die musikalische Verwendbarkeit und Leistungsfähigkeit der Orgel hat sich unter der Meisterhand Eberhard Friedrich wesentlich gehoben und erweitert. Das führte ihm nicht nur immer weitere Kreise von Freunden des Orgelspiels, von schaffenden und nachschaffenden Musikern, von Interessenten für neue Orgeln zu, sondern es gab ihm auch selbst ein immer sicherer werdendes Bewusstsein von seinem Können und seinem Sollen. Das Orgelspiel war ihm letzten Endes eine heilige Angelegenheit und der Orgelbau deshalb eine Aufgabe von hohem Rang.
Die Kochersteinsfelder Orgel wurde am 9. Februar 1822 approbiert und von der Kirchengemeinde übernommen. Sie trug dem Erbauer in der weiteren Umgebung ein solches Vertrauen ein, dass ihm sofort eine Reihe von größeren Reparaturen übertragen und im August desselben Jahres auch eine neue Orgel im Betrag von 1000 Gulden für die Kirche zu Kleingartach in Auftrag gegeben wurde. Im gleichen Jahre folgte noch ein Auftrag für Weinsberg. Auch eine neue Orgel für die Garnisonskirche in Stuttgart war in Sicht, es waren noch lauter Aufträge aus der engeren Heimat. Dass Eberhard Friedrich auch für den Ritt in die Welt gesattelt war, sollte sich erweisen, wurde aber einer harten Probe unterworfen.

Persönlichkeit
Ffm-Paulskirche